Zur ontologischen Relevanz der Brücke#

Untertitel: Zum relevanten Unterschied sonst identischer Ontologien

Wann sind zwei Ontologien gleich?#

Gedankenexperiment: Wir geben zwei Personen den Auftrag, das Wort “Tag” als Ontologie zu modellieren. (Wir verwenden im folgenden an RDFS angelehnten Pseudocode; insbesondere bedeute die Relation ISA eine Teilmengenbeziehung ähnlich zu rdfs:subclassOf.) Wir erhalten zwei Ontologien.

Ontologie o1:

Tageszeit
  ISA
     Tag
     Nacht

Ontologie o2:

Zeitraum
  ISA
    Tag
    Woche

Die Ontologien o1 und o2 unterschieden sich in der Benennung der Knoten, nicht aber in ihrer Struktur. Der Mensch unterscheidet o1 und o2 anhand dieser Benennungen.

Dass wir verschiedene Ontologien erhalten lässt sich dadaurch erklären, dass das Wort “Tag” ein Polysem ist, d.h. in der Alltagssprache verschiedene Bedeutungen hat. Im Satz “Unsere Tankstelle hat sieben Tage in der Woche Tag und Nacht geöffnet” hat das erste Wort “Tag” die Bedeutung Tageszeit (Gegensatz: Nacht), das zweite Wort “Tag” die Bedeutung 24‑Stunden‑Zeitraum.

Aus abstrakt-mathematischer Sicht haben die zu o1 und o2 zugehörigen abstrakten Graphen die identische Struktur wie Ontologie o3:

Ontologie o3:

entity_10
  ISA
    entity_11
    entity_12

Abgesehen von der Benennung der Knoten sind die abstrakten Graphen aus o1, o2 und o3 identisch. Wir können o3 als ein abstraktes formales System mit den interpretieren, das in der Lage ist, im Detail recht verschiedene Domänen zu modellieren – zwar nicht vollständig, aber partiell. Ein formal-logisches Inferencing-System sieht in Bezug auf die formale Semantik von o1, o2 und o3 keinen Unterschied.

Der Unterschied ist für den Menschen sehr wohl erkennbar und liegt in der Benennung. Die Benennung hat für den Menschen eine relevante erklärende Funktion, die einem Inferencing System nicht zur Verfügung steht. Die Benennung dokumentiert, beschreibt, erklärt, definiert so etwas wie die “Bedeutung” der einzelnen formalen Symbole. Erst die Benennung stellt einen Zusammenhang zwischen formalem System und Welt dar.

Wolfgang Stegmüllers Theoriebegriff#

Dieser Sachverhalt wird von Wolfgang Stegmüller wie folgt erklärt: Eine (naturwissenschaftliche) Theorie besteht aus 2 Teilen:

  • Theoriekern: Ein formales System mit abstrakten Symbolen

  • eine “Brücke”: in normaler Sprache formulierte Erklärung, welche Symbole wie auf Dinge in der realen Welt abgebildet werden.

Exkurs: GPT-5 mini#

Prompt an Duck.ai, 2025-09-03, GPT-5 mini:

Wolfgang Stegmüller, Begriff der Theorie, strukturalistischer Theoriebegriff, Theoriekern, Brückentheorie

— snipp BEGINN GPT-5 mini —

Kurzüberblick: Wolfgang Stegmüller und der Begriff der Theorie#

Wolfgang Stegmüller (1923–1991) war ein einflussreicher österreichisch-deutscher Wissenschaftsphilosoph, bekannt für formal-logische und strukturalistische Analysen wissenschaftlicher Theorien. Sein Werk zielt darauf ab, Theorien präzise zu definieren und Beziehungen zwischen theoretischen und empirischen Aussagensystemen darzustellen.


Strukturalistischer Theoriebegriff (bei Stegmüller)#

Der strukturalistische Theoriebegriff betrachtet Theorien nicht primär als Mengen von Sätzen, sondern als strukturierte Bündel von Komponenten (z. B. mathematische Strukturen plus Interpretation). Kernideen:

  • Theorie = strukturiertes System von Modellen und Beziehungen: Theorien werden durch Klassen von Modellen (mathematische Strukturen) plus Interpretationsregeln beschrieben.

  • Fokus auf Relationen statt auf einzelne Sätze: Wichtig sind die Beziehungen zwischen theoretischen Begriffen, Axiomen und möglichen Modellen.

  • Formalisierung ermöglicht Vergleichbarkeit und Präzision: Durch logische/Formale Mittel lassen sich Theorien vergleichen, Äquivalenzen und Reduktionen prüfen.


Theoriekern (Kern einer Theorie)#

Der Begriff des Theoriekerns (oder Kernbereichs) bei Stegmüller bedeutet:

  • Theoriekern = zentrale strukturgebende Elemente einer Theorie, typischerweise die mathematisch-logische Struktur und die grundlegenden theoretischen Begriffe/Axiome.

  • Randbestandteile (z. B. Auxiliarhypothesen, Anwendungen) sind vom Kern zu unterscheiden. Der Kern ist das, was erhalten bleibt, wenn empirische Randannahmen oder spezielle Modellanpassungen weggelassen werden.

  • Der Kern bestimmt die formalen Modelle, die als Repräsentanten der Theorie gelten.


Brückentheorie (Bridge laws / Brückentheorie)#

Brückentheorien verbinden theoretische Terme mit empirischen Beobachtungsbegriffen. Wichtige Punkte:

  • Funktion: Übersetzung/Verknüpfung zwischen Theorie (Theoriekern, Modellbegriffen) und empirischer Ebene (Beobachtungs- oder Messbegriffe).

  • Typen: Kann als definitionsartige Identifikation (analytisch) oder als kontingente Hypothese formuliert sein.

  • Rolle in Reduktion und Erklärung: Brückentheorien sind entscheidend, wenn man zeigen will, wie eine Theorie empirisch testbar ist oder wie eine Theorie durch eine andere reduziert werden kann (z. B. Reduktion der Thermodynamik auf statistische Mechanik durch Brückenbegriffe).


Zusammenhang der Begriffe#

  • Der strukturalistische Theoriebegriff liefert die formale Basis: Theorien sind Klassen von Modellen mit einer bestimmten Struktur (der Theoriekern bildet die zentrale Struktur).

  • Brückentheorien sind nötig, um diese strukturellen Elemente mit Mess- und Beobachtungsdaten zu verbinden, damit die Theorie empirisch anschlussfähig und überprüfbar wird.

  • Theoriekern vs. Brückentheorie: Der Kern ist intern-theoretisch (struktur- und begriffsgebend); Brückentheorien sind extern-verknüpfend (Verbindung zur Beobachtung).

— snipp ENDE GPT-5 mini —

Bewertung JB: Ich habe über mehrere Jahre wiederholt die Werke Wolfgang Stegmüllers studiert und bewerte obige von GPT-5 mini erzeugte Darstellung im Rahmen unseres Diskurses als ausreichend.

Anwendung von W.Stegmüllers Theoriebegriff#

Eine Ontologie lässt sich als eine spezielle, insbesondere begriffliche Stukturen modellierende Theorie im Sinne des strukturalistischen Theoriekonzepts von Wolfgang Stegmüller begreifen. Eine Ontologie in diesem Sinne besteht aus

  • einem formalen System (Stegmüller: Theoriekern), im Fall von Sprachen wie RDFS oder OWL eine T-Box als abstrakter Graph

  • einer Brücke (Stegmüller: Brückentheorie), die die Symbole des formalen Systems mit Hilfe von (im Rahmen einer Community) gut bekannte normalsprachliche Begriffe oder Vorstellungen erklärt. Eine geeignete Darstellung dieser Brücke könnte z.B. ein Glossar oder auch ein in z.B. in SKOS formulierter Thesaurus sein.

In obigem Beispiel besteht der Theoriekern aus dem abstrakten Graphen aus o3: Wir haben die abstrakten Symbole entity_123, entity_456 und entity_789, die in einem bestimmten Teilmengenverhältnis zueinander stehen.

Die Ontologien o1 und o2 lassen sich dann in eine Darstellung überführen, in der Theoriekern und Brücke integriert dargestellt werden; wir erhalten o1.2 und o2.2:

o1.2:

entity_10 DEF "Tageszeit"
  ISA
    entity_11 DEF "Tag (Tageszeit)" 
    entity_12 DEF "Nacht"

o2.2:

entity_20 DEF "Zeitraum"
  ISA
    entity_21 "Tag (Zeitraum)"
    entity_22 Woche

Wenn man (wie hier geschehen) die Entities mit Hilfe geeigneter IDs eindeutig anlegt, lassen sich o1.2 und o2.2 widerspruchsfrei vereinigen.

Was ist eine “gute” Ontologie?#

THESE:

Eine gute Ontologie erkannt man daran, dass die normalsprachlichen Erklärungen der Brücke

  • auf bereits bekannte Vorstellungen bezug nehmen

  • nicht selbst wieder auf Symbole des Theoriekerns bezug nehmen.

Eine gute Ontologie zeichnet sich durch eine Brücke aus, bei der die Symbole auf normalsprachlicher Ebene begrifflich möglichst wenig vernetzt sind. Idealerweise ist jede einzelne Erklärung der Brücke ohne Bezugnahme auf andere Erklärungen aus der Brücke für sich alleine verständlich.