Die Studienarbeit als Frage und Antwort
Einen Text zu verstehen heißt zu verstehen, auf welche Frage er eine Antwort gibt. (H.G.Gadamer)
Sie können keine Studienarbeit in Angriff nehmen, ohne die einschlägige Literatur zur Technik wissenschaftlichen Arbeitens zu kennen. Als Einführung empfehle ich Ihnen folgenden Text:
- Otto Kruse: Keine Angst vor dem leeren Blatt. Oldenbourg: 5. Aufl. 1997
Eine Anmeldung zur Studienarbeit setzt das Vorliegen eines guten Exposees voraus. Dieses betrachte ich als Teil der Prüfungsleistung; an Hand seiner Erstellung und Diskussion können Sie und Ich unverbindlich kennen lernen, ob sich eine fruchtbare Zusammenabeit ergeben kann.
Außerdem wollen Sie sicherlich erfahren, welche Schwerpunkte ich persönlich bei einer Zuammenarbeit setze. Mit dem folgenden Text möchte ich Ihnen transparent machen, was mir als Dozent in einer Prüfungsleistung wichtig ist.
Der Rahmen einer Studienarbeit
In einer Studienarbeit sollen Sie als Studierende zeigen, dass Sie sich einer Fragestellung, einem Problem wissenschaftlich nähern können. Eine bloße Aneinanderreihung von Wahrheiten aus der Literatur erbringt diesen Nachweis nicht. Statt dessen geht es darum, aus solchen Wahrheiten (für Sie) Neues zu erarbeiten.
In einigen Studiengängen oder Ausbildungstraditionen werden Aufgaben typischerweise vom Dozenten gestellt. In anderen Studiengängen ist mehr Freiheit möglich -- um den Preis, dass eine hohe Eigenständigkeit der Studierenden erwartet wird. Die Freiheit äußert sich darin, Studienschwerpunkte und forschungsleitende Fragen selbst zu bestimmen und zu formulieren zu können - ein Arrangement, das ein hohes Maß an (Selbst-)Verantwortung, organisatorischen und (meta-)kognitiven Kompetenzen erfordert.
Begründung der Fragestellung
Unerlässlich für eine gute Arbeit ist also eine gute Fragestellung. Gute (und für Prüfungsleistungen: bearbeitbare!) Fragen zu stellen ist allerdings eine der schwierigsten Aufgaben in der Wissenschaft überhaupt.
Sich eine Fragestellung selbst erarbeiten erfordert Kreativität, lässt sich nicht vorschreiben, und auch kaum operationalisieren. Wir empfehlen Ihnen daher dringend eine Rücksprache mit Ihrem Betreuer.
Immerhin lässt sich beschreiben, was als Ergebnis eines solches Prozesses entstanden sein sollte: nämlich eine Frage, auf die eine Studienarbeit dann eine Antwort liefern soll. Eine solche Frage liegt erst dann klar und deutlich vor, wenn man Antworten auf folgende Fragen zur Frage formulieren kann:
- Wie lautet Ihre Frage? (Hier könnten z.B. auch Hypothesen enthalten sein)
- Was meint Ihre Frage, was meint sie nicht? Was muss man wissen, um Ihre Frage und ihre Brisanz verstehen zu können?
- in welcher Wissenschaft, in welchem Praxisfeld, in welcher gesellschaftlichen Situation stellt sich (Ihnen) Ihre Frage?
- Warum ist Ihre Frage heute für Sie (für die Gesellschaft, für unser Forschungsprojekt, für mich als Leser etc.) wichtig?
- Warum gehen Sie die Frage an? (Hier mit bedenken: was haben Sie bisher schon studiert, was wissen Sie bereits, was müssen Sie dazu noch lernen?)
- Wer hat die Frage ebenfalls schon bearbeitet ( ausführlich wird das dann bearbeitet im Kapitel, "Stand der Forschung") - und warum stellt Sie die Antwort nicht zufrieden?
Vorausschauende Rückschau!
Schon auf dem Weg zur Antwort sollten Sie schon vorab überlegen, woran Sie erkennen, dass Sie am Ziel sind:
- Woran erkennen Sie, dass Sie eine Antwort gefunden haben, wenn Sie sie gefunden habe?
- Wie gehen Sie vor, um eine Antwort zu finden? Warum gerade so? - Hier sind typischerweise einige Setzungen zu erwarten, die durch Randbedingungen wie z.B. die Präferenzen des Betreuers bedingt sind. Dies lässt sich i.A. nicht vermeiden, deshalb ist jedoch die folgenden Frage sehr wichtig:
- Welche möglichen weiteren Antworten können Sie mit Ihren gewählten Methoden nicht mehr finden?
Die Grundstruktur
Für wissenschaftliche Arbeiten gibt es eine standardisierte Grundstruktur. Diese spielt traditionsgemäß eine ähnliche Rolle wie die Sonatenhauptsatzform in der klassischen Musik: Sie bildet eine Norm als Verstehenshintergrund, vor dem Abweichungen dann als Abweichungen möglich werden. Abweichungen sind erlaubt, setzen allerdings grundsätzlich voraus, dass die Norm ebenfalls beherrscht wird. (Auch die Abweichung von dieser traditionellen Sicht ist für einen Meister erlaubt. Gefährdet ist dann allerdings die Anschlussfähigkeit der Arbeit, weshalb Sie - falls Sie diese Strategie fahren wollen - Ihrem Gutachter außerhalb Ihrer Arbeit klarmachen müssen, dass Sie ein außergewöhnlich guter Student sind ...)
- 1. Vorwort: hier gehört all das hinein, das nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Bearbeitung ist: persönliche Vorbemerkungen, Dank an die Eltern, persönliche Stellungnahmen etc.
- 2. Inhaltsverzeichnis
- 3. Einleitung: Die Frage (s.o.)
- 4. Forschungslandschaft, Stand der Forschung
- 5. Methode der eigenen Arbeit
- 6. Die eigene Arbeitsleistung in engerem Sinn:
- neue eigene Zahlen, Daten, Fakten, Funde? Oder lieber Neuinterpretation des vorhandenen Bestands?
- Beweise und Argumentationen, Systematiken, Theoriebausteine etc.
- Ergebnisse: das sind i.A. Antworten auf die Frage, bisweilen auch neue Fragen (schwieriger!)
- 7. Reflexion und Ausblick:
- Inwiefern stellen die vermeintlichen Antworten tatsächlich Antworten dar? Sind die Antworten richtig, neu, überraschend, wichtig?
- Wo könnten Ansätze zur Falsifizierung liegen? (Anspruchsvoll! Typischer Weg: eine fundamentale Methodenkritik)
Begrenzen Sie sich!
Eine Studienarbeit sollte nicht zu knapp, keinesfalls aber zu umfangreich ausfallen. Insbesondere zu viel Umfang wirkt verdächtig: Sollen durch Fleiß Theoriedefizite ausgeglichen werden? Konnte man sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren? Liegt gar eine verhinderte Doktorarbeit vor? - Ein guter Betreuer wird darauf achten, dass Sie aus Ihrer Studienarbeit nicht ein Lebenswerk machen, sondern sie als das begreifen, was sie ist: eine Prüfungsleistung in einem zeitbeschränkten Studiengang.