Was ist E-Learning? Mehr als Streaming-Video !

Lieber Kollege,

neulich habe ich mich despektierlich über den Einsatz von Video-Vorträgen in unserem "digitalen Semester" geäußert. Mir ist die Sache ein Anliegen, deshalb hier für den Diskurs nochmal streitbar:

  • Ja, ich halte Streaming-Videos für eine sehr suboptimale Lehrform.
  • Wer innovative Lehre anstrebt kann im E-Learning auf viele Medien und Methoden einsetzen - aber Streaming-Videos gehören nur am Rande zu den innovativen Methoden im E-Learning.

Hier ist das zugehörige Gedankenexperiment.

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Wenn einige von uns Kollegen "digitale Lehre" als abspielbare Streaming-Videos interpretieren, dann ist das nachvollziehbar: Wir alle haben in unseren Hochschuldidaktik-Fortbildungen gelernt, unsere Lehrveranstaltungen für Präsenz-Settings zu optimieren. Wenn wir jetzt hauptsächlich über Videos diskutieren dient das dem Zweck, die Präsenz-Situation in den digitalen Raum hinein zu verlängern.

Allerdings: Wenn wir in Zeiten der Corona unsere Studierenden kaum mehr im Hörsaal sehen befinden wir uns eigentlich in einem komplett anderem Setting, nämlich einem klassischen Fernstudien-Setting. Kaum einer von uns Präsenzlehrenden hat gelernt, wie man Lehren und Lernen für ein Fernstudium einrichtet. Und selbst wenn wir es gelernt hätten: Einen Kurs für ein Fernstudien-Setting aufzusetzen erfordert z.T. beträchtliche Investitionen und auch Zeit.

Wenn wir weder gelernt und auch keine Ressourcen und auch kaum Zeit haben, um ein vernünftiges Fernstudien-Setting aufzusetzen, kann es sehr vernünftig sein, Hörsaal-Vorträge als Videos aufzunehmen - zumindest für diejenigen von uns, die in Präsenzlehre viel mit Vorträgen arbeiten.

Und ja: Es gibt in den verschiedensten Fächern sehr gute Gründe, auch Vorträge zu halten.

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Wenn es aber darum geht, den Wert von Video-Vorträgen im digitalen Unterricht generell zu beurteilen, sieht die Sache anderes aus. Zu diesem Zweck möchte ich ein grässliches Gegenbeispiel zeigen.

Lieber Kollege: Ich bitte Sie, ein paar Minuten für ein kleines Gedankenexperiment zu investieren. Stellen Sie sich vor, Sie sind selbst ein Lernender und möchten schnell und effektiv z.B. für Ihre nächste Hochschuldiaktik-Klausur lernen. Zwei Settings:

Setting A

Setting A: Ihre Dozentin hat (gar nicht so wenige) Stunden investiert, um ihren Stoff in das folgende Lernvideo zu überführen:

Setting B

Setting B, andere Situation: Ihre Dozentin hatte keine Ressourcen zur Verfügung, viele Stunden in ein Lernvideo zu investieren. Statt dessen stellt sie Ihnen unmittelbar den Rohtext des vorgesehenen Videos den Studierenden zur Verfügung, z.B. so:

Also: Mir gefällt der Inhalt des Videos sehr: Das, was da gesagt wird, ist in der Hochschuldidaktik Konsens. Aber mir geht es in diesem Text nicht um die Inhalte dieses Videos, sondern um das Format Video-Vortrag.

Diskussion

Selbst-Reflexion

  • Wie lange brauchen Sie, um die Inhalte dieser Text-Seite zu lesen? Vermutlich deutlich kürzer als 4:30 Minuten, also die die Video-Laufzeit. ... Und was waren doch gleich nochmal die Items für "Warum E-Learning?" Im Text nachschauen geht deutlich schneller als im Video 'rumzuspulen.
  • Frage: Welches Medium ziehen Sie selbst vor, um sich auf die hypothetische Klausur vorzubereiten? These: Falls der Video-Inhalt klausurrelevenat sein sollte, können Sie ihn nicht "erlernen", ohne ein Transkript an der Hand zu haben.

Gedankenexperiment

  • Falls Ihre Dozentin der einen Hälfte ihrer Studierenden nur das Video, der anderen Hälfte nur den Text an die Hand gibt: Wie würden wohl die Noten ausfallen?
    • These: Die textbasierten Lerner schneiden deutlich besser ab.
    • Zustimmung, Dissens?

Persönliche Meinung JB:

  • Zumindest das hier im Detail betrachtete Video "Was ist E-Learning?" ist m.E. ein wunderbares Negativbeispiel für den Einsatz eines Videos in der Lehre.
  • Noch schlechter sind Videos, die nicht als Erklärvideos mit Animationen etc. gestaltet sind, sondern in denen ein - gerne auch profesioneller - Sprecher einfach nur Text vorspricht.